leben.gebrauchsanweisung

aus dem cd-booklet screenshots ueber uns wissenschaftliches ausstellungen & preise presse technisches zur cd bestellung impressum "Il ne se passe rien, en somme!" (Georges Perec)

Der Milliardär Bartlebooth gerät mit der Lösung der selbstgestellten Lebensaufgabe in Verzug. Eigentlich soll keine Spur seines Lebenswerkes bleiben. 500 Puzzles - erdacht, gebaut, gelöst - sollen zu Nichts werden. Aber die Puzzles, die Bartlebooth sich machen lässt, werden ihm am Ende zu kompliziert. Er stirbt beim Zusammensetzen des 439. Bildes (La Vie Mode D´Emploi, dt. Das Leben. Gebrauchsanweisung, Kap. XCIX). Er hat kapituliert. - In 99 Kapiteln durchmessen wir 99 Räume und in jedem spielt ein eigener Roman, ein eigenes Puzzle. Die Puzzles folgen strengen Regeln. Auf den ersten Blick sind sie nicht durchschaubar. Im 50. Kapitel wird ein Bild beschrieben, die Szene einer Kriminalgeschichte, deren Erzähler ein Maler ist. Das ist ein Spiel. Hinter dem Spiel steht das Regelwerk. Mit Raimond Queneau und Italo Calvino gehörte Georges Perec zu Oulipo, der Gruppe Ouvroir de littérature potentielle. Hier gab es mathematische und informatische Interessen, die die Form zukünftiger Literatur beeinflussen wollten. Die Räume des Hauses, dessen Geschichte Perec in La Vie D´Eploi erzählt, liegen auf den Wegen des Pferdes im Schachspiel. Trotz der vielen Sprünge, die es macht, kommt es kein zweites Mal an denselben Platz. Die Auswahl der Gegenstände, alle Geschichten des Lebens folgen einem komplizierten Algorithmus der modernen Mathematik, der jedem Kapitel seine Elemente zuordnet. Eine riesige Programmierleistung steht hinter dem Text. - Bartlebooth hat kapituliert. Die einzige freie Stelle im letzten der von ihm bearbeiteten Puzzles - alle haben sie 750 Stücke - hat die Form eines X. Der Tote hat aber nur noch ein Teil in W-Form vor sich liegen. Das Puzzle geht nicht auf. Doch war und ist das Spiel die einzige Chance. Für Barthlebooth und für den Leser, der nichts anderes tut als Bartlebooth. Der Text selbst ist das Puzzle (vgl. die theoretischen Überlegungen Perecs in der Einleitung und Kap. XLIV). Offenbar sind die Geschichten nicht leicht durchschaubar. Aber offenbar am Ende auch nicht berechenbar. Neues Spiel, neues Glück!

Das Buch ins Gespräch zu bringen mit dem Computer. Das stand hinter der Idee, im Rahmen des Designstudiums multimediale Interpretationen geschriebener Texte zu versuchen. Vor der Hand scheint alles dagegen zu sprechen, dass Buch und Rechner ins Gemenge geraten. Hier ein uraltes Medium - analog, linear, breit, weitschweifig, symbolisch codiert, auf Zeit hin und auf Phantasie angelegt. Dort der Prototyp neuer Medien - digital, virtuell, instantan, in Echtzeit agierend, bildpräsent. So das Vorurteil und die Erfahrungen der meisten. Die Auswahl literarischer Vorlagen brachte die Dinge näher zusammen. Oulipo war ein informatisches Unternehmen. Perecs Leben. Gebrauchsanweisung schien, seines Algorithmus wegen, besonders gut geeignet, von einer Maschine adaptiert zu werden. Aber es ging nicht um ein einseitiges Verhältnis, darum, textbasierte Literatur in maschinengenerierte Literatur zu verwandeln. Der Roman sollte auch dem Computer etwas bringen. So rückte das Gemeinsame des Spiels in den Vordergrund.

Ein literarisches Spiel. Ein Spiel mit der Sprache. Ein Sprachspiel. Ein Puzzle in und mit Räumen. Das ist, was die Spieler am Terminal und die Leser des Romans gemeinsam haben. Im besten Fall. Denn für den notorischen Konsolenjockey bringt schon der Startschirm einige Überraschungen mit sich. Die formale Strenge der Vorlage bestimmt die minimalistische Ästhetik der Multimedia-Produktion. Wer gewohnt ist an übliche Positionen und übliche Navigation, findet kaum einen Halt. Man muss es versuchen, scheitert, muss es erneut versuchen. Umso erfreulicher der Erfolg; die Lösung, wenn man einen Raum betreten, das Interieur, die Geschichte erkundet hat. Das alles braucht Zeit und Energie. Und die kommen aus dem Text Perecs. Daraus lädt sich die Maschine auf beim Spiel; wenn sie der Spieler zur Erschöpfung getrieben hat. Nichts für den Dauerclicker. Für ihn ist es schlimm, am Ende, wenn es heißt, Il ne se passe rien, en somme.

Prof. Heiner Wilharm 01/01

© januar 2002 - svenja schelberg - holger gathmann - christian bimm coersinfo@perec.de